Eine Hommage an meine Heimat -
den Odenwald
Seit zwei Wochen liege ich faul an einem überfüllten Sandstrand in einem Land weit fort von Zuhause und frage mich, warum. Monatelang sparte ich für diese Reise, quetschte mich mit Übergepäck und gefühlt tausend drängelnden Touristen in den Flieger, nur um mich mit ihnen wie die Ölsardinen in der Gluthitze am Meer zu aalen. Sonnenbrand und Liegestuhlgefechte inklusive. Dabei könnte alles so entspannt sein, wenn ich daheim geblieben wäre. Ich lebe nämlich dort, wo andere Urlaub machen. Im Odenwald.
Bei uns gibt es keinen Ozean, dafür aber ein Meer aus Wiesen und Wäldern, das sich sanft über Berge und Hügel ergießt. Manchmal, wenn der Morgennebel durch die Täler zieht und die Sonne am blauen Himmel darüber hinwegstrahlt, sieht es von oben aus, als ob man aus einem Flugzeugfenster blickt. Doch Vorsicht, der idyllische Schein trügt. Der Odenwald ist nichts für Weicheier. Laut der Siegfriedsage war hier das Jagdgebiet der Nibelungen. Und aus dem finsteren Mittelalter ist uns sogar noch der größte und besterhaltene Galgen Deutschlands geblieben. Wer einmal darunter steht und der Fantasie freien Lauf lässt, dem ist eine Gänsehaut garantiert. Also uffbasse, wie es in unserem Dialekt so schön heißt, und anständig bleiben, denn wir haben keinen König, der Begnadigungen aussprechen könnte. Dafür eine wunderschöne Apfelkönigin, die sich allerdings um repräsentative Dinge kümmert.
Statt faul auf meinem Badetuch in der Hitze zu dösen und auf meine tägliche Portion Sonnenbrand zu warten, könnte ich zu Hause viel mehr erleben. Mit der Sommerrodelbahn ins Tal brausen, den Fahrtwind im Gesicht spüren und anschließend im Kletterwald nebenan wie Tarzan von Baum zu Baum schwingen. Mindestens genauso spektakulär wäre eine Tour mit der weltweit ersten Solardraisine, die auf einer stillgelegten Bahnstrecke über drei Viadukte und durch zwei Tunnel fährt. Von hier aus sieht man zwar keine der unzähligen Burgen im Odenwald, um die sich geheimnisvolle Sagen und Mythen ranken, aber der Ausblick ist wunderschön. Langweilig würde mir bei den vielen Ausflugsmöglichkeiten in der Region nicht werden. Von Kulturveranstaltungen und Shopping ganz zu schweigen.
Am Strand wird ein Gettoblaster mit voller Lautstärke aufgedreht. Rhythmische Bassschläge dröhnen durch die Hitze. Musik aus der Konserve. Ha! Da kann ich nur müde lächeln. Schon mal etwas von unseren Musikfestivals am Marbacher Stausee oder in dem kleinen Dorf namens Finkenbach gehört? Da rockt die Wildsau, die Bevölkerung steht Kopf und Woodstock lässt grüßen.
Die Sonne neigt sich dem Horizont entgegen. Meine Haut ist krebsrot, die Augen brennen vom Salzwasser. Es wird Zeit, die Badesachen zusammenzupacken und mich fürs Abendessen umzuziehen. Wer zuletzt kommt, muss verhungern. Das denken die meisten Hotelgäste, und das Gedränge am Buffet ist eröffnet. Da lobe ich mir doch den guten Odenwälder Kochkäse. Der läuft und läuft und scheint nie leer zu werden. Allein der Gedanke an Apfelwein und Kochkäse mit frischgebackenem Brot aus dem Steinofen oder an Handkäse mit Musik treibt mir das Wasser im Mund zusammen. Sogar hier im Süden kann ich plötzlich den Duft von Heimat riechen und je länger ich an Zuhause denke, desto größer wird mein Heimweh. Am liebsten möchte ich sofort ins Flugzeug steigen und zurückfliegen. Eine Woche muss ich noch durchhalten, und dann geht es endlich wieder nach Hause in den Odenwald. Dorthin, wo andere Urlaub machen, und ich nächstes Jahr auch.